In Kanada sorgt ein medizinisches Rätsel für Aufsehen: Eine Frau erlitt wiederholt Alkoholvergiftungen, obwohl sie keinen Alkohol konsumierte. Dieser seltene Fall wurde nun von Ärzten im Fachblatt der Canadian Medical Association vorgestellt.
Wiederholte Alkoholvergiftungen ohne Konsum
Eine kanadische Mutter zweier Kinder musste innerhalb von zwei Jahren siebenmal wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Diese Vorfälle traten auf, obwohl die Frau nach eigenen Angaben und der Bestätigung ihrer Familie seit Jahren keinen Alkohol mehr konsumierte. Früher trank die 50-Jährige gelegentlich ein Glas Wein zu Feiertagen, doch aus religiösen Gründen hatte sie dem Alkohol abgeschworen. Dennoch wurde sie wiederholt mit Symptomen wie übermäßiger Schläfrigkeit, undeutlicher Sprache und alkoholartigem Geruch ins Krankenhaus eingeliefert, wo die Diagnose stets auf Alkoholvergiftung lautete.
Die Suche nach der Ursache
Die medizinischen Untersuchungen der Frau, darunter eine Computertomographie (CT) des Kopfes, zeigten keine Auffälligkeiten. Auch psychologische Untersuchungen schlossen Alkoholmissbrauch aus. Die Ärzte standen vor einem Rätsel: Wie konnte die Frau solche hohen Blutalkoholwerte erreichen, ohne Alkohol zu trinken? Bei einem ihrer Krankenhausbesuche wurde ein Blutalkoholwert von 2,8 Promille gemessen, ein Wert, der normalerweise zu Bewusstlosigkeit führt.
Diagnose: Eigenbrauer-Syndrom
Schließlich stellten die Ärzte die Diagnose Eigenbrauer-Syndrom, auch bekannt als Auto-Brewery-Syndrom. Diese seltene Krankheit führt zu einer Fehlbesiedlung des Verdauungstraktes mit alkoholproduzierenden Hefepilzen oder Bakterien. Diese Mikroben können durch Gärungsprozesse bei der Verarbeitung von Kohlenhydraten so viel Alkohol produzieren, dass Betroffene Vergiftungssymptome entwickeln, obwohl sie keinen Alkohol konsumiert haben. Ein schwaches Immunsystem oder die Einnahme von Antibiotika können das Mikrobiom des Darms stören und so die Vermehrung dieser Mikroben begünstigen.
Behandlung und Fortschritte
Zur Behandlung verschrieben die Ärzte der Frau Medikamente gegen Pilzinfektionen und empfahlen eine kohlenhydratarme Diät. Die Symptome verschwanden zunächst, kehrten jedoch zurück, als die Frau wieder mehr Kohlenhydrate zu sich nahm. Nach einer erneuten Behandlung und der Einnahme von speziellen Probiotika zur Wiederherstellung der Darmflora besserten sich die Beschwerden dauerhaft. Ein Glukosetest bestätigte, dass ihr Blutalkoholspiegel nun stabil blieb, selbst bei erhöhter Kohlenhydratzufuhr.
Mögliche Ursachen und Hintergrund
Die genaue Ursache für die Entwicklung des Eigenbrauer-Syndroms bei der Frau bleibt unklar. Die Ärzte vermuten, dass eine wiederholte Einnahme von Antibiotika zur Behandlung von Harnwegsinfektionen die Fehlbesiedlung des Darms ausgelöst haben könnte. Auch genetische Faktoren könnten eine Rolle spielen.
Historische und aktuelle Fälle
Das Eigenbrauer-Syndrom ist extrem selten. Bei einer systematischen Überprüfung im Jahr 2020 wurden lediglich 20 Patienten seit 1974 in der englischsprachigen medizinischen Literatur beschrieben. Das Krankheitsbild wurde erstmals 1952 in Japan unter dem Begriff „Meitei-sho“ dokumentiert, was „Alkohol-Autointoxikationssyndrom“ bedeutet.
Ein jüngster Fall ereignete sich in Belgien: Ein 40-jähriger Mann aus Brügge wurde wiederholt mit erhöhten Blutalkoholwerten angehalten. Nachdem er 2022 erneut wegen Trunkenheit am Steuer angeklagt wurde, verteidigte er sich erfolgreich vor Gericht mit der Diagnose Eigenbrauer-Syndrom.
Fazit
Der Fall der kanadischen Frau verdeutlicht die Komplexität und Seltenheit des Eigenbrauer-Syndroms. Diese seltene Erkrankung kann zu erheblichen gesundheitlichen Problemen führen und stellt sowohl Betroffene als auch Mediziner vor große Herausforderungen. Die erfolgreiche Behandlung der Frau zeigt jedoch, dass es Möglichkeiten gibt, die Symptome zu kontrollieren und das Leben der Patienten erheblich zu verbessern.